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20.12.2022 | 02:22

ZMUC: Die Künstler sind ein Volk

ZMUC: Die Künstler sind ein Volk

Das kleine Kunstzentrum von Zemun wurde nach langjähriger Umsetzung des Regionalprogramms Mobilna rezidencija (Mobile Residenz) zu Beginn des russischen Krieges in der Ukraine zu einem Gastgeber für Künstler, die aufgrund dieses bewaffneten Konflikts aus verschiedenen Gründen emigrierten. Für SEEcult.org sprechen Goran Denić und Vesna Tašić vom ZMUC, die ihr ARC (Alternatives Residenzzentrum) „Dve Babe“ am Fuße des Kosmaj, wo sie sich seit langem aufhalten, zu einem dauerhaften, offenen Residenzraum für Künstlerinnen und Künstler ausbauen wollen, die den verschiedensten Arten von Megabedrohungen ausgesetzt sind, die im Zeitalter der Polykrise in der Zukunft möglich sind und möglich sein werden.

- Sie organisieren seit Jahren Residenzen für Künstler und haben dieses Jahr Künstler empfangen, die sich wegen des russischen Krieges in der Ukraine vorübergehend in Serbien aufhalten. Wie kam es dazu?

Goran Denić: Als wir 2010 zum ersten Mal eine Multimedia-Residenz für Künstler aus dem ehemaligen Jugoslawien im Bačka-Dorf Karavukovo organisierten, war uns klar, in welche Richtung wir das Programm entwickeln sollten, um gemeinsam mit den Gastkünstlern, zumindest während der Dauer der Residenz, ein Problem, das uns in diesem Moment als glühend heiß erschien, zu beleuchten. Also haben wir ab dem Jahr das Programm der Mobilen Residenzen gestartet, ein Oxymoron, das die Idee einer künstlerischen Wanderkommune auf dem Balkan durch die Thematisierung verschiedener Krisenpunkte der jüngeren Geschichte bezeichnet, die wir in Serbien, Albanien und Montenegro bis zum Ausbruch der Pandemie durchgeführt hatten. Damit hat der Krieg in der Ukraine ein Problem gebracht, das von mehreren Seiten beleuchtet werden muss. Der Krieg ist ein Problem, eine von vielen Krisen, und da uns die Erfahrung des Krieges nicht fremd ist, fühlten wir uns eingeladen und kompetent genug, im Rahmen des Programms bereits im März 2022 eine Residenz für Künstler, die auf der Flucht vor dem Krieg sind, anzubieten.

Vesna Tašić: Indem die Leute von Artist at Risk anriefen und fragten, ob wir den Geiger Andrey innerhalb von 24 Stunden unterbringen könnten, da sein Schengen-Visum ablief und er Österreich dringend verlassen musste. Ich bin froh, dass wir „leichtsinnig“ waren, wir haben sofort reagiert und ihn mit heißer Suppe begrüßt. Mit dem ersten Residenten „in Gefahr (at risk)“ überwindeten wir administrative Hürden für Ausländer, sodass wir heute viele nützliche Dinge wissen. Allerdings dauert dieser Prozess, denn in Belgrad gibt es Anlaufstellen, die sich mit Migranten und Asylsuchenden befassen, wie das Belgrader Zentrum für Menschenrechte, aber keine Anlaufstellen, die Informationen über Möglichkeiten in Serbien für Inhaber verschiedener Pässe bereitstellen – von Russen über Weißrussen und Ukrainerinnen bis zur Regisseurin aus Indien oder Kurden aus der Türkei, was bei uns der Fall war. Die Künstlerin ist schwanger und will vor der Geburt aus der Türkei fliehen, sie würde in Serbien das Kind zur Welt bringen. Wir haben uns nicht rechtzeitig informiert, es war auch Wochenende, also floh sie in ein anderes Land.

Auch dem Rock'n'Roll-Musiker Yevgeniy Fedorov, dem in einem bestimmten Moment die sofortige Abschiebung aus Schweden nach Estland drohte, woher er auch stammte, konnten wir nicht helfen. Die schwedischen Medien behaupteten damals, Fedorov würde in Russland ein manipuliertes Gerichtsverfahren und eine lange Haftstrafe drohen, wie es mit anderen Dissidenten und Kulturschaffenden passiert war.

Die medizinische und psychologische Hilfe sowie die Unterbringung einer vierköpfigen Familie konnten wir nicht rechtzeitig, das heißt innerhalb von 48 Stunden, garantieren.

Schließlich gab die schwedische Migrationsbehörde dem öffentlichen Druck nach, sodass Fedorov nicht abgeschoben wurde.

Photo: Aleksandar Slavković

- Sie sind eine der wenigen Organisationen in der Region, die sich innerhalb des Netzwerks Artists at Risk engagieren und sich für die Unterstützung von Künstlern in Not einsetzen. Wie würden Sie die Zusammenarbeit mit ihnen beschreiben und was ist die konkrete Hilfestellung von AR?

Goran Denić: Auf Artist at Risk wurden wir bereits im Jahr 2015 aufmerksam, als die Flüchtlingskrise ausbrach und wir ihnen damals zum ersten Mal Hilfe durch das Programm der Mobilen Residenzen anboten, zumindest für Künstler, die über die Balkanroute nach Europa kamen. Es scheint, dass die damals angebotene Hilfe nicht ausreichte oder dass es keine interessierten Künstler aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan gab, die eine Zeit lang in Serbien bleiben wollten.

Wie auch immer, im März 2022 hat uns Artist at Risk per E-Mail kontaktiert – mit der Anfrage, ob wir einen Geiger aus St. Petersburg aufnehmen könnten. Sein Schengen-Visum lief ab und er musste Österreich verlassen. Am nächsten Tag.

Artist at Risk gewährt den Künstlern einen bescheidenen Zuschuss und deckt einen Teil unserer Kosten durch die Koordinatorengebühr (coordinator`s fee) ab.

Seitdem waren vier Künstler bei uns untergebracht, zwei sind noch hier. Artist at Risk versucht, ihren Aufenthalt in Serbien finanziell zu erleichtern, und wir versuchen, Honoraraufträge für sie zu finden. Wir sprechen hier von Top-Profis, daher reduziert sich unser Aufwand auf ein Minimum.

Vesna Tašić: Marita (Muukkonen) und Ivor (Stodolsky) sind direkt und offen mit Hostern, also Gastgebern, und finden sehr schnell Residenzen für gefährdete Künstler aus der ganzen Welt. Wichtig ist für sie in jedem Moment, was mit den Residenten passiert. Sie rezitieren nicht die europäische Agenda, sondern halten an der menschlichen Agenda fest. Künstler sind für sie, wie auch für uns, ein gemeinsames Volk.

Auf die bestmögliche Art und Weise nutzen sie Mittel aus europäischen Fonds, die beispielsweise gefährdeten Künstlern aus dem Irak und Syrien nicht zugutekommen. Sie sind eine echte Erfrischung in der Kulturszene.

Wir führten sie in einem Videoanruf durch den Raum und zeigten den aktuellen unvollendeten Zustand vom Alternativen Residenzzentrum ARC Dve Babe.

- Man hat den Eindruck, dass es in Serbien mehr russische Staatsbürger gibt, die wegen des Krieges ausgewandert sind, als ukrainische Staatsbürger. Was ist Ihrer Meinung nach der Grund für eine solche Situation?

Goran Denić: Inhabern russischer Pässe wird überall in Europa die Einreise verweigert oder eingeschränkt, Visaerteilungsverfahren sind kompliziert, während es mit ukrainischen Pässen keine derartigen Probleme gibt. Und es ist einfacher, mit dem Opfer zu sympathisieren als mit dem Aggressor. Da Serbien als einziges Land in Europa formal nicht zwischen dem einen und dem anderen unterscheidet, vielleicht auch zu seinem Nachteil, sind die russischen Bürger hier zahlreicher. Dann gibt es in Europa ein Unterstützungsnetzwerk für ukrainische Flüchtlinge, aber nicht für russische. Es ist wahrscheinlich, dass die Erfahrung des Krieges, die Serbien durchgemacht hat, eines Krieges, in dem alle serbischen Bürger als Aggressoren abgestempelt wurden, egal wie viele dieser Aggressoren gegen den Krieg waren, dazu geführt hat, dass wir leicht mit solchen Deserteuren, Verrätern und der fünften Kolonne, wie diese Menschen von manchen in Serbien bezeichnet werden, sympathisieren können.

Vesna Tašić: Aus der Kommunikation mit einer Partnerorganisation in der Ukraine (Chernovci), mit der wir seit 2018 zusammenarbeiten, wissen wir, dass männliche Künstler schon vor dem Ausreiseverbot für über 18-jährige Personen aus der Ukraine nicht fliehen wollten. Nach dem Ausreiseverbot aus dem Land, waren sie natürlich nicht in großer Zahl in Europa vertreten.

Nur Künstlerinnen konnten das Land verlassen, und für sie war Serbien kein vorrangiges Ziel, weil sie eben für kein europäisches Land ein Visum benötigten.

Andererseits haben russische Künstler, „Dissidenten“, einen Direktflug von Moskau nach Belgrad und reisen ohne Visum nach Serbien ein, was auch bei einigen anderen Ländern in der Region der Fall ist. Bereits im August, als wir drei Residenten hosteten, hat AR eine Ausschreibung für Hoster in Nicht-EU-Ländern ausgeschrieben, was bedeutet, dass sie viel größere Kapazitäten benötigten.

- Was sind Ihrer Meinung nach beziehungsweise nach der Erfahrung Ihrer Residenten die größten Probleme von Künstlern, die den Krieg vermeiden und ihre berufliche Tätigkeit in einem der EU-Länder fortsetzen wollen, während sie sich vorübergehend in Serbien aufhalten?

Goran Denić: Ich denke, dass alle Bürger des ehemaligen Jugoslawiens und diejenigen, die vor dem Krieg geflohen sind, sowie diejenigen, die entweder freiwillig oder als Mobilisierte direkt am Krieg teilgenommen haben, die Erfahrung gemacht haben, dass alles, was Sie bis dahin kannten, zusammenbrach, auf den Kopf gestellt wurde und verschwand. Für viele bedeutete es jedoch das Ende der Welt und für einige andere einen Neuanfang und eine Abkehr vom Alten, die Rechtfertigung, auf die sie gewartet hatten. Alle, die zwischen diesen beiden Extremen stecken, haben Schwierigkeiten. Es ist schwierig, das bisherige erfolgreiche Berufsleben zu verwerfen und ein neues aufzubauen, insbesondere mit dem Stigma, ein Aggressor zu sein, insbesondere mit dem oft vorgebrachten Argument, dass sie Ihre Karriere verloren haben und die Ukrainer – ihr Leben. Dann läuft zum Beispiel ihr Führerschein ab und sie können ihn nur in Russland erneuern. Oder jedes Dokument, das sie bei der Stellensuche beifügen müssen. Und dort werden sie höchstwahrscheinlich auch noch verhaftet.
         
Vesna Tašić: Einholen eines Visums für das gewünschte EU-Land. Im Verlauf des Krieges verweigerten immer mehr europäische Regierungen russischen Bürgern Visa und setzten sie mit der russischen politischen Elite gleich, die in die Ukraine einmarschierte. Obwohl diese übrigens die Aktionen derselben Regierung nicht gutheißen, das war ja auch der Grund, warum sie Russland verlassen haben.

Wir verbringen seit fast einem Jahr die Zeit zusammen und sind befreundet und ich hatte den Eindruck, dass alle Residenten davon überzeugt sind, dass die Menschen in Serbien keine Ahnung haben, dass sie nichts über das wirkliche Leben in Russland wissen.

Andrej Timofeev und Olga Timofeev spielen in mehreren Orchestern in Belgrad, nehmen an Vorsingen in allen Ländern, in die sie reisen können, teil, kommen beim Vorsingen weiter und bekommen Jobangebote, aber kein Visum für dieses Land. Der letzte derartige Fall ereignete sich in der Tschechischen Republik im August, genau in dem Moment, als die baltischen Länder und die Tschechische Republik die Visa für Russen stornierten.

Sie warten derzeit auf eine Arbeitserlaubnis in Bulgarien, wo sie eine Stelle in einem Orchester gefunden haben.

Diesmal bekamen sie ein Visum, aber keine Arbeitserlaubnis, ohne die sie legal nicht arbeiten können.

Ksenia Ilina, eine bildende Künstlerin aus St. Petersburg, ist derzeit in Frankreich, sie hat es geschafft, ein Visum über eine internationale Organisation zu bekommen, die Künstlern dabei Hilfe gewährleistet. Der Tontechniker Roman Sorokin ging von Serbien nach Vietnam, überzeugt davon, dass er als DJ Erfolg haben würde. Im Moment sagt er, dass es ihm gut geht, obwohl sein Laptop verbrannt ist.

Diese Menschen, als Flüchtlinge, Dissidenten oder wie auch immer sie sich fühlen, ändern ihr Leben grundlegend und können nicht nur „Projektbegünstigte“ sein, jeder von ihnen hat andere Bedürfnisse, mehr oder weniger Angst, mehr oder weniger Entschlossenheit und keiner von ihnen möchte sich öffentlich bloßstellen oder scheut sich zumindest davor. Manche von ihnen haben eine ukrainische Mutter, die in Russland lebt, manche haben einen in Russland mobilisierten Bruder, manche haben ein Problem mit ihrem Vater, der Russland im Krieg in der Ukraine unterstützt. Wir haben nur versucht, ihnen Sicherheit zu bieten, egal wofür sie sich in ihrer beruflichen Laufbahn entschieden haben, wir haben ihnen Anonymität und die Möglichkeit garantiert, so lange wie nötig in Serbien zu bleiben, bis sie ihren Status geklärt haben.

Das ist das Einzige, was ein Hoster diesen Menschen an einem Wendepunkt im Leben bieten kann.

- Wie wird die Unterstützung von Künstlern durch das AR-Netzwerk finanziert?

Goran Denić: Artist at Risk bietet zwei Arten von Stipendien an. Das eine ist ein Lebensunterhaltsstipendium (living grant), das andere ein Arbeitsstipendium (working grant). Das Lebensunterhaltsstipendium ist kleiner und reicht kaum zum Leben, während das Arbeitsstipendium etwas besser ist. Beide implizieren einen Vertrag mit dem Künstler und der hostenden, also gastgebenden Institution, im konkreten Fall mit dem ZMUC. Dann wird dieser Betrag des Stipendiums per SWIFT auf das Konto des Künstlers gezahlt, falls er eines besitzt, stellen Sie sich vor, wie viele solcher russischen Bürger es momentan gibt, in einer Situation, in der Russland vom SWIFT-System ausgeschlossen ist – oder eben auf das Konto der hostenden Institution, die sich dann arrangieren muss, das Geld an den Künstler zu übermitteln. Laut Gesetz können wir kein Bargeld abheben, und Geld kann ohne Dienstleistungsvertrag nicht auf ein Nicht-Ansässigen-Konto eingezahlt werden. Gleichzeitig können ausländische Bürger nur dann ein Konto eröffnen, wenn sie eine im Unternehmensregister eingetragene Tätigkeit haben, was nach drei Monaten in Serbien geschieht, beziehungsweise nach Erhalt einer vorübergehenden Aufenthaltsgenehmigung. So reduziert sich die Hilfe für Künstler auf Unterkunft, Verpflegung, administrative Hilfe, Suche nach Teilzeitjobs beziehungsweise Honoraraufträgen zur Fortsetzung ihrer beruflichen Laufbahn...

Vesna Tašić: AR hilft Künstlern, aber nicht unbedingt und ausschließlich. Sie ermutigen Hoster, sich selbst um Lebensstipendien für Künstler zu bemühen, wobei ihnen im Falle Serbiens schnell klar wurde, dass es solche Stipendien hier nicht gibt.

Selbst mit einem Empfehlungsschreiben von AR direkt ist es unwahrscheinlich, dass die Balkanorganisation die Mittel des europäischen Fonds erhält, der normalerweise für geflüchtete Künstler bestimmt ist. Vielleicht gerade wegen der großen Zahl russischer Künstler in Serbien, also der geringen Zahl ukrainischer Künstler.

Niemand wollte russische Künstler in Serbien finanzieren. Wir haben alle zusammen gewirtschaftet, wir haben zusammengelebt, uns zusammen ernährt, die Rechnungen bezahlt... Drei Monate später, nachdem sie eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung erhalten, eine juristische Person im Unternehmensregister eingetragen hatten, konnten sie auch ein Lebensunterhaltsstipendium auf das eigene Konto erhalten, wie es auch der Fall war. Wir mussten uns die Speisekarte nicht mehr ausdenken und befüllen.

- Gibt es institutionelle Unterstützung für Organisationen, die geflüchteten Künstlerinnen und Künstlern diese Art von Hilfe anbieten?

Goran Denić: Soweit ich weiß, gibt es in Serbien keine institutionelle Hilfe für geflüchtete Künstler. Vielleicht hat sich inzwischen etwas geändert, aber auch die institutionelle Förderung serbischer Künstler ist sehr fragwürdig, da die durch die Ausschreibungen des Kulturministeriums betimmten Mittel nicht einmal zur Aufrechterhaltung grundlegender vitaler Funktionen ausreichen. Wer will sich da noch um Fremde kümmern! Andererseits gibt es zu viele von uns Künstlern auf der Welt. Um alles nicht ganz so schwarz zu sehen, eine medizinische Grundversorgung ist ohne Diskriminierung bereitgestellt. Zumindest jetzt noch.

Vesna Tašić: Es gibt keine. Wir haben in dem letzten Jahr einige Anlaufstellen informell über die Situation, in der wir uns befinden, informiert, aber wir haben keine Antwort erhalten. Wir wurden von Einzelpersonen wie der Rechtsanwältin Tatjana Petovar, der Komponistin Ivana Stefanović und Dragoslav Popović, einem leitenden Berater für öffentliche Gesundheit, unterstützt. Diese Leute kamen bereits im April letzten Jahres zur Rettung. Und ja, wir haben auch zwei Säcke Sand und einen Sack Mörtel in einem Lagerhaus in Sopot erhalten.

- Kennen Sie ähnliche Beispiele von Organisationen in der Region, die sich an der Unterstützung von Künstlern beteiligt haben, die aufgrund der Kriegsumstände geflohen sind?

Goran Denić: Ich bin mir sicher, dass es welche gibt, aber ich kann jetzt keine nennen, die auf dieselbe Weise funktioniert wie wir. Vielleicht Krokodil und vielleicht NS-Kulturhauptstadt. Die Leute von Artist at Risk haben uns gebeten, unsere Kollegen aus der Region zu kontaktieren, um geflüchteten Künstlern weitere Türen zu öffnen, nur ist es so, dass die ganze sogenannte Region organisatorisch und vor allem finanziell nicht über ausreichende Kapazitäten verfügt. Gerade wegen der äußerst unsicheren Finanzlage ist es uns unmöglich, langfristig strategisch zu planen. Es ist auch möglich, dass wir einfach nur uninformiert sind, weil wir uns seit Beginn des Krieges in der Ukraine in unser Alternatives Residenzzentrum (ARC) Dve Babe verlagert und die sozialen Netzwerke ausgeschaltet haben.
    
Vesna Tašić: Ich glaube, es gibt sie, aber ich kenne sie nicht. Es ist möglich, dass sie keine Werbung gemacht haben, wie wir auch nicht, da gefährdete Residenten dies am häufigsten brauchen. Auch hier wiederum waren keine offiziellen Institutionen an einem solchen Engagement beteiligt. In Serbien haben uns fast alle auf die noch erst zu veröffentlichenden Ausschreibungen verwiesen, also mit einer Verspätung von 11 Monaten. Völlig sinnlos.
    
- Wie würde sich Ihrer Meinung nach die letztendliche Entscheidung Belgrads, auf Drängen der EU, Sanktionen gegen Russland zu verhängen, auf die Möglichkeiten russischer Künstler auswirken, vorübergehend in Serbien Zuflucht zu finden?

Goran Denić: Serbien ist nur wegen der einfachen Einreise und des einfachen Verfahrens zur Erlangung der Aufenthaltsgenehmigung ein wünschenswertes Ziel für russische Staatsbürger. In dem Moment, in dem und wenn Serbien die in der EU geltenden Beschränkungen für russische Bürger einführt, werden sie ihren Platz unter der Sonne in einem anderen Teil der Welt suchen, zum Beispiel in Vietnam.

Vesna Tašić: Ich zweifle nicht daran, dass sie sich auch in Fernost zurechtfinden würden. Und ich hoffe, ich klinge politisch inkorrekt. Einer unserer Residenten, ein Sounddesigner, ist in Vietnam gelandet und es geht ihm gut. Ich gehe davon aus, dass die Fluglinie Moskau-Belgrad gestrichen würde, was für unsere Residenten nicht wichtig war, weil sie alle aus Europa kamen. Aber es würde wahrscheinlich für die Zukünftigen von Bedeutung sein, da die europäischen Länder strenge Visaregelungen für russische Passinhaber eingeführt haben. Einige auch mit der Rechtfertigung, dass festgestellt wurde, dass viele von ihnen zum Einkaufen in die europäischen Hauptstädte kommen würden.

- Heutzutage ist es immer schwieriger zu definieren, was Risiko im Allgemeinen ist. Frühere Risiken wie die Unterdrückung der Meinungsfreiheit, die Unterdrückung nichtdemokratischer Regime, lokale bewaffnete Konflikte ... wurden durch eine Pandemie, eine Klimakrise und unmittelbar danach durch einen Krieg von globalen Ausmaßen, der zugegebenermaßen noch nicht offiziell als solcher erklärt wurde, ersetzt. Wie sehen Sie das Thema Risiko heute?
    
Goran Denić: Risiken ändern sich und es ist notwendig, sie zu überwachen und die Situation zu analysieren, um angemessen reagieren zu können, da sie nicht mehr auf lokale Gebiete beschränkt sind, sondern global geworden sind und globale Antworten erfordern. Heute ist es wichtig, Risiken zu erkennen und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um deren negative Folgen vorzubeugen.

Beispielsweise wurden die beiden obigen Sätze von einem Roboter (Chat GPT) generiert, ist also die Entwicklung von KI ein Risiko für die Menschheit?

In diesem Jahr hat die Weltgesundheitsorganisation Empfehlungen an Länder herausgegeben, welche Medikamente sie im Falle eines Atomkriegs vorrätig haben sollten. Alles als PDF und zum Download verfügbar.

Ist das Risiko einer Klimakatastrophe größer als das Risiko eines Atomkrieges, oder ist es eine Tarnung für die zunehmende Einschränkung von Freiheiten und die weltweite Beraubung der Bürger durch Inflation, Kriegsindustriefinanzierung, Kriegsrhetorik, usw. Ich weiß nicht, wir sollten, wie Chamäleons lernen, die Welt um uns herum von allen Seiten zu betrachten, um ein Bild zu haben, wer für uns arbeitet und wer unsere Beute, also die Zielgruppe ist.

Vesna Tašić: Die Financial Times hat „Polykrise“ zum Wort des Jahres 2022 erklärt, das eine nicht endende Krise bezeichnet. Auch von „Megabedrohungen“ (megathreats) ist die Rede, wie der Ökonom Nouriel Roubini die Polykrise nennt.

Die Zeit der klassischen Residenzen ist vorbei, man sollte offen für dringende und unvorhergesehene Fälle notwendiger Verlegung von Künstlern sein. In diesem Jahr werden wir an dem Konzept einer solchen mietfreien, no – rent Residenz arbeiten.

Einheimische Künstler befinden sich seit langem in einer Krise/Bedrohung, und Megabedrohungen verkomplizieren eine solche Position nur noch. Es wäre gut, wenn die Region auf solche Bedürfnisse reagiert und sich den europäischen Organisationen anschließt, die an der spezifischen Unterstützung einzelner Künstler arbeiten. Heute, im Gegensatz zu den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts, gibt es davon genug.

Die Priorität ist vielleicht die globale Gemeinschaft der Künstler, denn nationale Gemeinschaften und Eliten werden uns sowieso nicht retten, wenn wir selbst zu Flüchtlingen oder Dissidenten werden.
    
- Was sind Ihre Zukunftspläne für das Künstlerresidenzprogramm?

Goran Denić: The future is unwritten, also die Zukunft ist nicht geschrieben, um mit einem Zitat zu antworten. Was heute ein riesiges Problem ist, kann morgen schon unsichtbar sein. In diesem Sinne versuchen wir, eine Residenz zu schaffen, die in der Lage ist, auf all diese ungeschriebenen Zukünfte zu reagieren. Nach wie vor sprechen wir von Prozessen, die meist das Ergebnis zufälliger Begegnungen und chaotischer Zusammenarbeit sind, mehr als eines definierten Ziels und einer definierten Strategie. Kurzfristig gesehen, planen wir in diesem Sommer, die Arbeiten abzuschließen, um das ganze Jahr über einen funktionalen Arbeits- und Lebensraum für die fünf Künstler und das ZMUC zu haben. Ob dies die Installation von Photovoltaikmodulen, also Paneelen, auf dem Dach oder Bleiplatten zum Schutz vor radioaktiver Strahlung beinhaltet, weiß ich nicht. Jedenfalls denken wir im April gemeinsam mit der Kuratorin Maida Gruden über die sogenannten Nachhaltigkeitsstrategien.

Vesna Tašić: Wir planen, die neuen Residenzräumlichkeiten als flexiblen Ort zu entwickeln, mietfrei, also no – rent, 365 Tage im Jahr geöffnet und genau auf Megabedrohungen oder Polykrisen reagierend. Ich glaube nicht, dass wir in der Lage sein werden, viele Künstler zu „retten“, aber wir werden für neue Arbeitsmethoden offen sein, wie sie von vielen Organisationen in der europäischen Szene angewendet werden, die die Arbeitsweise, Prioritäten und Methoden im Handumdrehen ändern, in Übereinstimmung mit der aktuellen Situation, ohne Beschönigung. Wir werden uns auf Einzelpersonen konzentrieren und Parolen ignorieren.

*Photo: ZMUC

(SEEcult.org)

*Funded by the Stabilisation Fund for Culture and Education 2022 of the German Federal Foreign Office and the Goethe Institut

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